Ghana Oktober 2021
Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf
Dieses afrikanische Sprichwort, das wir bestimmt schon einmal gelesen oder gehört haben, fiel mir ein, als ich einige Tage nach meiner Ankunft im Center an „meinem“ Platz auf der offenen Terrasse saß und das Leben um mich herum anschaute. So etwas wie ein kleines Dorf sind wir mittlerweile geworden, fand ich, mit unseren 19 Kindern, den 4 Mmas, mit Ayala, unserem Hausvater und Lehrer, seiner Frau Rita, unserer Köchin, und deren kleinen Sohn Yaw Arnold. Hinzu kommt die in Afrika übliche „extended family“ ( Schwester, Nichte, Enkel, oder so…), die zumindest tagsüber im Center sind, so ganz durchgeblickt habe ich eigentlich nicht… Aber jeder aus dieser extended family hat seine kleine Aufgabe und hilft mit.
Dieses kleine Dorfleben ermöglichte es auch Rita, weiterhin für uns alle täglich drei Mahlzeiten zu kochen, denn Arnold, der eifrig überall herum krabbelt und eigentlich schon laufen möchte, wurde mal von Ritas Schwester, mal von einer Mma, mal von einem unserer Kinder betreut – die Mutter immer in Sichtweite. Sehr gerne war er auch bei seinem Papa… einmal krabbelte er während des Unterrichtes auf dessen Schoß, ließ sich von ihm kurz drücken, dann war die Welt für ihn wieder in Ordnung und er krabbelte weiter seine Runden. ( Und wenn gar nichts mehr half, dann band sich Rita ihn auf ihren Rücken). Viel besser als jede noch so gute Kita, fand ich.
Begrüßung
Die Wiedersehensfreude nach fast zwei Jahren war groß war sehr groß – eigentlich immer noch schwer beschreibbar, so als würden deutsche Wörter nicht reichen.
Und dennoch: etwas fragende Zurückhaltung war bei den Erwachsenen zu spüren – wie geht „Nana“ (damit bin ich, die Großmutter gemeint) mit Corona um? Dürfen wir sie umarmen? Sie durften – ich habe zwei coronaunbeschwerte Wochen erlebt (in Dormaa ist laut Ayala bisher keiner an Corona gestorben, insgesamt sind dort im Laufe eines Jahres ca. 80 Menschen offiziell erkrankt).
Die „neuen“ Kinder
Mamea, 8 Jahre alt, lebt seit einem Jahr im Center. Sie kann weder sprechen noch laufen (wie die meisten unserer Kinder), weiß aber ganz genau, was sie braucht, um sich gesund zu entwickeln und fordert dies stumm aber sehr deutlich ein. Ich habe eine solch nach außen drängende Willensstärke bei unseren Kindern im Center noch nicht erlebt.
Dann ist da noch ein kleiner Junge, „the small boy“ wurde er von allen genannt (seinen afrikanischen Namen habe ich mir einfach nicht merken können), der jeden Morgen von seinem Vater ins Center gebracht wird. Liebevoll setzt der Vater ihn in einen speziell für ihn gefertigten Holzstuhl, übergibt der Mma, die sich um ihn kümmert, vorgekochtes Essen für den Tag. Abends wird der kleine Bub dann wieder abgeholt. Es war eine irgendwie leichte, offene Liebe und Fürsorge bei den Eltern zu spüren ( auch das gibt es in Ghana ) – wie sehr wünschen wir uns dies für all die anderen Kinder im Center, die ihre Eltern, wenn überhaupt, nur sehr selten sehen.
Owusu
Owusu, unser Manager, ist ein richtiger Freund geworden. Trotz meines elenden Englisch können wir uns stundenlang unterhalten. Mit ihm geht das.
Lange haben wir über den Tod von Cosmos, dem Gründer des Center, gesprochen. Owusu erzählte, dass alle im Center – aber auch viele Eltern und Nachbarn glaubten, nun werde das Center geschlossen. Es muss eine heftige Bestürzung und Angst bei allen gewesen sein. Und jetzt Erleichterung und große Dankbarkeit, dass „es“ weitergeht. Das war für Susanne, der Witwe von Cosmos, und für mich eigentlich noch nicht einmal eine Frage – die Kinder sind da, und natürlich machen wir weiter.
Owusu erzählte auch von diversen „offiziellen“ Besuchen: So waren im vergangenen Jahr der sub-Chief von Dormaa, die Ältesten (die eine ganz besondere Rolle in der afrikanischen Kutur haben), sowie einige Ärzte vom Hospital zu Besuch.
Und sogar die Queen-Mother mit Gefolge hat unser Center besucht – eine große Ehre!
Tja, und zwei Wochen vor meiner Ankunft hat sogar der Paramount-chief spontan unser Center besucht. Vor lauter Aufregung haben sowohl Owusu wie auch Ayala vergessen, davon Bilder zu machen, worüber sie sich jetzt sehr ärgern…
Noch vor ein paar Jahren waren diese Besuche undenkbar, und mein Eindruck „ wir sind angekommen“ (s. Bericht 2019) hat sich dadurch nur verstärkt.
Unsere Zukunft
Auch über unseren Traum haben wir gesprochen, der eigentlich schon so etwas wie ein Vorhaben geworden ist: Für unsere Großen wird es langsam zu eng in unserem Center, schon seit ein paar Jahren überlegen wir wie wir sie ein Stück ins Leben begleiten können, in so etwas wie ein Erwachsenenleben, bei einem Handwerker zum Beispiel.
Klaus Wenzel, auch ein Freund des Centers, hatte die wunderbare Idee, dass wir auf einem möglichst nahe gelegenen Grundstück zunächst zwei bis drei Werkstätten incl. Wohnraum bauen, die wir dann Handwerkern aus dem Ort für eine kleine Miete anbieten. Als „Gegengabe“ würden dann die Handwerker jeweils einen unserer großen 18-19 Jährigen unter ihre Fittiche nehmen, sie an ihrem Tun teilhaben lassen, aber so, dass unsere Jugendlichen tatsächlich etwas mit-schaffen. Ein zusätzlicher Raum müsste errichtet werden für eine Mma, die unsere Jungs dann dort betreut und für sie kocht.
Abends, das war mir rasch klar, sollten die Großen wieder im Center sein, im „Dorf“, denn gerade an den lauen Abenden entwickeln sich auf den Terrassen und auf dem Innenhof schöne „Geschichten“, wunderbare Stimmungen zwischen all den Generationen und vielen Menschen, die dort sind. Das sollten unsere angehenden „Handwerker“ auch weiterhin erleben dürfen. Wie es später dann sein wird – das wird sich entwickeln.
Mit Owusu und Ayala war ich beim „Headmaster of workmanship“ ( oder so ähnlich ) in der Gemeinde, der alle Handwerker in Dormaa kennt ( ich war erstaunt ). Er fand unsere Idee super und meinte, er wolle uns gerne unterstützen und bei der Wahl der Handwerker beraten.
Nun besitzen wir ja schon ein sehr schönes Grundstück in wunderbarer Lage – leider etwas weit vom Center entfernt.
Etwas näher liegt ein Grundstück von Cosmos, bei dem allerdings erst die afrikanische Familie entscheiden muss, ob es dem Center gehören darf – oder nicht. Auch ist es recht feucht, der Aufwand der Trockenlegung wäre recht groß und teuer…
Owusu und Ayala klappern zur Zeit noch Möglichkeiten in der näheren Umgebung ab. Mal sehen, wo wir landen. Bald müssen wir es wissen und dann gleich loslegen.
Unser Alltag
Der Alltag im Center ist weiterhin geprägt durch unsere kleine Schule, die Ayala weiterhin mit viel Herzblut leben lässt. Aber es sitzen schon sehr viele Kinder mit unterschiedlichem Alter und sehr verschiedenen Begabungen in unserem Klassenraum…
Über eine Waldorflehrerin aus Hamburg ist ein junger Ghanaer auf unser Center aufmerksam geworden. Er hat in Ghana „education for children with special needs“ studiert, er hat uns in der Zeit, in der ich dort war, besucht und zugesagt, ab September bei uns zu arbeiten und Ayala zu unterstützen. Ihm hat die Atmosphäre ( oder was auch immer) bei uns sehr gut gefallen, das hat er immer wieder betont… und wir freuen uns sehr über die Verstärkung.
Nachmittags kommen weiterhin Physiotherapeuten zu unseren Kindern, auch Beatrice, die Perlenfrau kommt zweimal in der Woche und arbeitet mit einigen Kindern schöne Dinge.
Schöne neue Wand
Unser kleiner Alltag wurde tagelang begleitet von heftigem Hämmern, Sägen, Schleifen… Unsere Kinder schauten fasziniert zu, wie ein Schreiner mit seinen Helfern die gesamten Hauswände, die zum Innenhof gelegen sind, halbhoch mit Holz verkleidete. Die Wände waren alle fleckig und sahen einfach unschön aus. Die neue Holzverkleidung ist für Afrika eher ungewöhnlich, aber sie gefiel uns allen auf Anhieb sehr.
Vor meiner Abfahrt haben mir Freunde Geld für´s Center in die Hand gedrückt, davon konnten wir die schöne neue Wand bezahlen. Es ist noch etwas Geld übrig, davon sollen die ebenfalls dreckigen Säulen auf halber Höhe mit Fliesen verkleidet werden.
Regenzeit
Es war „raintime“ als ich dort war, unser Brunnen war immer gut gefüllt. Und so kamen täglich Nachbarn vorbei zum Wasserholen und natürlich auch zu einem kleinen Schwatz. Auch sie trugen einfach dazu bei, dass mir der frohe Gedanke kam: wir sind nicht nur angekommen und geduldet, sondern wir sind ein richtiges kleines Dorf geworden!
Spenden
Und all dieses Leben in unserem kleinen Dorf ist nur möglich, weil andere Menschen uns Geld schenken. (Dieser Gedanke macht mich manchmal etwas schwindelig, merke ich, aber auch irgendwie froh.)
Und da möchte ich an erster Stelle den „Freunden der Erziehungskunst Rudolf Steiners“ danken, die uns so treu und unkompliziert zur Seite stehen. (Nana Göbel gebührt hier ein besonderer Dank für ihr immer offenes Ohr ).
Den Schülerinnen und Schülern vom WOW-day danke ich für ihren Einsatz, den sie auch in der Coronazeit geleistet haben. (Und Johanna Huber für ihre freundliche Koordination)
Speziell für das Cosmos-Center gespendet haben die Freie Waldorfschule Dresden, die Michaeli-Schule Köln, die Rudolf Steiner Schule München-Gröbenzell, die Freie Waldorfschule Köln 0420 sowie die Freie Waldorfschule Überlingen. Euch allen kann ich nur aus tiefstem Herzen dankbar sein!
Ganz lieben Dank auch an die belgischen Freunde Margret Gerard von Soroptimist und Gerd Pankert von Kiwanis, die sich in ihren Vereinen wieder für uns engagiert haben!
Aus der Auflösung des Vereins „Kindheit in Afrika“ ist uns eine tolle Spende zugekommen. (Dank an Helga Quick für ihre Idee!)
Herzlichen Dank auch allen Freunden, die das Center regelmäßig unterstützen und natürlich meiner tollen Familie!
Patrice Reinhardt
Wer meine Freude für dieses Center ein wenig nachempfinden kann und Lust hat, unser kleines Dorfleben zu unterstützen, kann dies gerne tun. Jede Spende kommt zu 100% den Kindern zugute.
Bei den „Freunden der Erziehungskunst“ haben wir ein eigenes Konto, sie stellen auch eine Spendenquittung aus.
Freunde der Erziehungskunst
IBAN: DE 47 4306 0967 0013 0420 10
Betreff: Projekt Nr. 6092 (Cosmos-Center)
(Adresse wegen Spendenquittung nicht vergessen)