Ghana Oktober 2019
Wir sind angekommen
Diesmal war alles etwas anders und gleichzeitig auch vertrauter. Am Flughafen in Accra wurde ich von Christian Ihlow und seiner Freundin Nadine abgeholt. Beide kommen aus Aachen, Christian kenne ich seit seiner Geburt, er ist mein Patenkind.
Beide haben im September eine Weltreise begonnen, waren zunächst in Südafrika und Namibia und wollten nun in Ghana, im Cosmos – Center, für ein paar Wochen sesshaft werden und dort auch mit anpacken.
Ayala, unser Hausvater und Lehrer, hatte mir erzählt, dass im Laufe des Jahres fünf neue Kinder aufgenommen worden sind, und mir war klar, dass Arbeit mehr als genug da sein würde: 17 Kinder insgesamt, wobei ein Mädchen gleich seine Großmutter mitgebracht hatte (oder war es umgekehrt?), die seit ein paar Monaten im Center mitarbeitet.
Also diesmal nicht alleine als Obroni (Weiße) auf der langen endlosen staubigen Fahrt von Accra nach Dormaa, sondern gemeinsam mit Christian und Nadine…
Und dann immer wieder die gleiche Erfahrung, die ich auch jedes Mal in meinem Bericht versuche zu beschreiben, weil sie mich immer wieder berührt, ja, überwältigt: So herzlich und freudevoll wie Afrikaner begrüßen kann keiner!
Am nächsten Morgen konnte ich dann, noch bevor die Kinder wach wurden, von „meinem“ Platz aus sehen und bestaunen, was sich im letzten Jahr an den Gebäuden „getan“ (das ist das richtige Wort) hat.
Zum ersten Mal keine Baustelle, kein Schutt, kein Provisorium: rechts und links vom renovierten Ursprungshaus (im letzten Jahr noch graue Baustelle) stehen farbig gestrichene Neubauten. Der gesamte Innenhof, der ursprünglich harte braune Erde war, dann zementierte Fläche und jetzt einen kunstvoll gefliesten Boden hat, ist zur Straße hin weithin offen und gut einsehbar. Dieser Innenhof sowie die umliegenden, überdachten offenen Flure eignen sich hervorragend zum Spielen für die Kinder!
Ja, die Gebäude gefallen mir, und es war eine leise, zufriedene Freude in mir, sie nach den langen Jahren des Bauens und Renovierens jetzt „vollendet“ (na ja, so halbwegs) zu sehen.
Als dann die Kinder aus ihren Zimmern krabbelten bzw. getragen wurden (keines der Kinder kann selbstständig gehen, einige können sich krabbelnd, kriechend fortbewegen), und Ayala sowie eine Mma mit dem morgendlichen Duschen begannen, sah ich sofort die immense Mehrarbeit zum vorigen Jahr: Von unseren 17 Kindern können die drei Großen sich alleine duschen, anziehen usw. Die anderen müssen alle gewaschen, gewickelt, massiert und drei mal am Tag gefüttert werden.
Selbst mit Hilfe der drei Obronis (Weiße) war es jedes Mal ein „Akt“, den uns vor allem Christian mit seinem herrlichen Humor erleichterte…
Nadine, die in Aachen als Kinderkrankenschwester arbeitet, hat alle Wunden und Verletzungen der Kinder versorgt, wusste mit dem Asthma-Spray für Kobi umzugehen, hat unseren Medizinschrank durchforstet, aussortiert, neu etikettiert usw. Eine wunderbare Hilfe!
Und Christian ist nicht nur mit einem köstlichen Humor begabt, er verfügt zudem über die Gabe eines fürsorglich-praktischen Blickes und einer zupackenden Hand und hat uns so aus manch typisch ghanaischer Klemme befreit!
Gefreut hat mich zu sehen, dass es den Kindern gut geht, besonders Maxwell (4,5 Jahre alt), der im vergangenen Jahr noch Ärmchen hatte so dick wie mein Daumen, liegt nicht mehr apathisch in seiner Wippe, sondern schaut mit wachen Augen, nimmt Anteil an der kleinen Welt um ihn herum, greift und spielt und ahmt herzergreifend nach.
Nach dem Frühstück dann Schule. Stella, das Mädchen, das mit seiner Großmutter (oder umgekehrt) ins Center gekommen ist, wird jeden Morgen im Rollstuhl zur nahegelegenen öffentlichen Schule geschoben und fühlt sich dort auch wohl.
16 Kinder im Alter von 2,5 Jahre bis 17 Jahre in einem Raum: schon nach wenigen Tagen war für mich klar: das ist des Guten ( oder was auch immer) zu viel! Die Kleinen am Boden, die Großen meist im Rollstuhl um den riesigen Schultisch. Bei aller Mühe, die Ayala sich gibt, allein der Geräuschpegel war zumindest für unsere westlichen Ohren einfach zu hoch.
Wir entschieden, dass nach dem rhythmischen Teil, den auch die Kleinen sehr lieben, eben diese Kleinen in den großen überdachten Flur gebracht werden, eine der Mmas sich zu ihnen setzt und so etwas wie ein Kindergarten sich entwickeln kann.
An mehreren Tagen wurde der Unterricht unterbrochen, da Menschen anklopften, die von einem ghanaischen Verein oder gar der Bank kamen und uns Säcke voll Reis, Stapel voll Toilettenpapier ( war immer dabei), Dosenmilch … vorbei brachten.
An einem anderen Vormittag traf sich Ayala mit Vertretern vom government und konnte einen Scheck von 2.000GHC (ca. 330 €) für´s Center in Empfang nehmen.
Und das war neu, das war anders als in den Jahren davor: da waren es eher einzelne Menschen, Freunde von Ayala, Nachbarn, die vorbei kamen. Und jetzt wurden wir „öffentlich“ wahrgenommen und be-dacht! Vermutlich hat die Einweihung im März wesentlich dazu beigetragen.
Ja, mir kam der Gedanke: jetzt sind wir angekommen, hier in Dormaa öffentlich und in den Herzen vieler Menschen, wir sind nicht mehr nur die etwas spinnerten und komischen Menschen ( dazu noch mit Obronis), die sich um behinderte Kinder kümmern, öffentlich und einsehbar, sondern wir werden irgendwie „ernst“ genommen, sogar vom government, das bisher außer mit leerem Gerede uns nie be-dacht hat.
An einem anderen Morgen standen zwei Krankenschwestern vom Dormaa-Hospital vor der Tür. Bereits zum zweiten Mal kamen sie, um unsere Kinder zu wiegen, zu messen, zu schauen, wie sie sich entwickeln, ob die Veränderungen in der Ernährung, die sie das vorige Mal angeregt hatten, auch umgesetzt worden sind. (Auch hier das Gefühl: wir werden gesehen, es wird nicht mehr weg geschaut. Langsam und noch sehr sporadisch fängt Ghana an, Verantwortung zu übernehmen auch für die Kinder mit einer Behinderung).
Die Mmas, unsere bisherigen cooker, kommen aus dem Norden, wo alles trockener, karger, ärmlicher ist. Ihre Kochkünste beschränken sich auf wenige einfache Gerichte. Diese empfanden die Krankenschwestern als zu simpel und nicht ausreichend für unsere Kinder. Sie erstellten einen Menuplan für die Woche, den unsere Mmas weder lesen noch nachkochen konnten.
Und da kam die Idee, die Frau von Ayala zu fragen zu fragen, ob sie nicht unsere Köchin werden möchte.Und damit erfüllte sich mir ein Wunsch, ja, ein Traum, den ich bereits seit zwei Jahren habe: Rita, Ayalas Frau, irgendwie in unser Center einzubinden.
Und so passt eins zum anderen: Rita kocht lecker und abwechslungsreich für alle, und die Mmas haben mehr Zeit, sich um die Kinder zu kümmern, Ayala beim Duschen morgens und abends zu helfen.
Die Nachmittage waren meist heiß, sehr heiß und hatten ein anderes, meist gelasseneres Gesicht. Bright hatte mich mit über 40 Deckchen beglückt, die er alle im vergangenen Jahr gewebt hatte. Es war nun meine Aufgabe, daraus etwas Schönes und Sinnvolles zu machen. Nachdem alle Fäden vernäht waren, entstand die Idee zu einer großen, herrlich bunten Decke, die jetzt einen Tisch im Schulraum bedeckt. Sam und Isaac hatten viele kleine Flickenstücke gewebt, aus denen Türvorleger entstanden.
Also nachmittags saß ich da meistens und nähte und vernähte… Immer wieder kamen Mütter, Eltern, oft Großmütter mit ihren behinderten Kindern, die sie am liebsten gleich da gelassen hätten.
Und immer wieder mussten wir ihnen von einer langen Warteliste erzählen und davon, dass wir erst dann neue Kinder aufnehmen werden, wenn die Obronis weg sind und für Ayala wirklich deutlich wird, dass die Mmas ihn entlasten.
Es ist uns allen ein großes Anliegen, dass die Kinder nicht nur einfach versorgt werden, sondern soviel Zeit und Zuwendung da sind, dass die Kinder mit Freude ihre Entwicklung selber ergreifen können.
Und dennoch: bei Ayala war immer ein leises Zögern spürbar, einige Male schon hatte er erlebt, dass von Kindern, die nicht gleich aufgenommen werden konnten, später erzählt wurde „ they passed away…“ (vermutlich mit Hilfe eines Medizinmannes…)
Dies war auch etwas, was Nadine und Christian schwer fiel nachzuvollziehen. Mir scheint, wir berühren hier Afrika in seiner gespaltenen Seele: Da ist die große Sehnsucht nach Europa, es ihm nachzutun in allem, vor allem in materieller Hinsicht. Da ist aber auch in – ich glaube: jeder – afrikanischer Seele ein tiefer magischer Ort, der noch zusammenhängt mit „ in the oldest days – you know?“ (Die Stimme bekommt dann jedesmal einen geheimnisvoll – sehnsüchtigen Klang). In the oldest days war alles, war jede Handlung von magisch – mythischer Wirklichkeit durchzogen, die Götter sprachen überall und insbesondere die Medizinmänner konnten mit diesen lebendigen geistigen Wesen in Verbindung treten.
Ich habe in all den Jahren drei Medizinmänner kennen gelernt. Bei einem von ihnen, da war „etwas“, etwas Altes, aber noch Lebendiges, etwas vor dem ich keine Angst hatte, es war mir nicht unheimlich, sondern irgendwie vertraut. Er sprach unter vielem anderen auch von Zwergen, und davon, dass sie ihm die Pflanzen zeigen, die er braucht, um zu heilen.
Bei den beiden anderen Medizinmännern, und auch so, bei vielen alltäglichen Dingen, habe ich viel Rituelles erlebt, das aber irgendwie leer ist, entleert von etwas Eigentlichem, Ursprünglichen. Stattdessen ist dann manchmal etwas Dunkles, Dämonisches da, etwas vor dem ich auch Angst hatte. Aber oft einfach nur leeres Ritual.
Und dann kommen Fragen: Wurden behinderte Kinder immer (auch in the oldest days) nach der Geburt zu einem Fluss gebracht und dort ausgesetzt oder vom Medizinmann getötet? Oder ist dies möglicherweise eine Folge der Kolonialzeit, in der ja auch deutlich zwischen wertem und unwertem Leben unterschieden wurde? Ich weiß es nicht, ich weiß es wirklich nicht. (Vielleicht wünsche ich mir in meiner Liebe zu Afrika einfach die zweite Antwort … Kann sein.)
Und endlich, endlich wieder: Physiotherapie! Nach langem Suchen hat Owusu, unser Manager, eine Physiotherapeutin gefunden, die bereit ist, drei Mal die Woche in unser Center zu kommen und mit unseren Kindern zu arbeiten. Hinzu kommt, dass Abigail Gehaltsvorstellungen hat, die vernünftig sind und von uns bezahlbar. Ich glaube: ein Glücksfall!
Medase! (Danke!)
All dies, was ich jetzt beschrieben habe, das ganze Leben mit den 17 Kindern, ein Leben, das in schönen Gebäuden stattfinden kann, ein Leben mit mittlerweile 6 Mitarbeitern und einer Physiotherapeutin, ein Leben, das für afrikanische Verhältnisse ein einfaches, aber gutes Leben ist – all dies wäre nicht möglich, wenn nicht Menschen in Europa an uns denken und uns Geld schenken würden!
So danken wir ganz herzlich den „ Freunden der Erziehungskunst „ , die uns nun schon seit einigen Jahren treu und helfend zur Seite stehen . (Besonderer Dank an Nana Goebel, die stets ein offenes und verständnisvolles Ohr für uns hat!)
Ganz großen Dank an alle SchülerInnen der Freien Waldorfschule Köln, der Waldorfschule für den ländlichen Raum Seewalde, der Fräi-effentlech-Waldorfschoul Letzebuerg sowie der Freien Waldorfschule Überlingen ! Sie haben am WOW-Day für uns gearbeitet und uns ihr Geld gespendet. (Und Jana-Nita Raker hat alles immer so fein und zuverlässig von Berlin aus koordiniert .)
Und meiner ehemaligen Schulkameradin Margret Gerard danke ich ebenfalls! In ihrer zupackenden Art hat sie mich nach einem Klassentreffen an zwei Vereine weitergeleitet, die uns gleich unterstützt haben: Kiwanis und Soroptimist (Hier stand mir Gerd Pankert helfend zur Seite!)
Klaus Wenzel haben wir den schön gepflasterten Innenhof zu verdanken. Er hat unser Center im Frühjahr besucht und gleich gesehen, was getan werden muss!
Und natürlich Christian und Nadine: herzlichen Dank für euren tollen Einsatz!
Und meine Freunde, KollegInnen, meine Familie – euch allen ein herzliches Dankeschön für all die Unterstützung jeglicher Art!!
Zukunft
Was bringt uns die Zukunft? Auf jeden Fall viele Kinder, die zu uns kommen möchten. Wir werden auch sicherlich im kommenden Jahr noch ein paar aufnehmen können. Aber dann stoßen wir mit den vorhandenen Gebäuden auch schon an unsere Grenzen. Auch ist unsere offene Geste zur Straße hin nicht für sog. Weglaufkinder geeignet.
Uns so haben wir gewagt zu träumen: in direkter Nachbarschaft ist ein sehr schönes Grundstück gelegen, auf dem sich auch ein Wohnhaus befindet. Wenn wir dieses erwerben könnten, dann wäre Zukunft machbar. Ein Traum noch, aber erste Gespräche sind bereits getan…
Und für unser alltägliches Leben brauchen wir natürlich weiterhin Geld und Unterstützung, aber auch da sind wir einfach zuversichtlich und waren uns einig: das schaffen wir, auch im nächsten Jahr schaffen wir das!
Patrice Reinhardt
Bei den „Freunden der Erziehungskunst“ haben wir ein eigenes Konto, sie stellen auch eine Spendenquittung aus.
Freunde der Erziehungskunst
IBAN: DE 47 4306 0967 0013 0420 10
Betreff: Projekt Nr. 6092 (Cosmos-Center)
(Adresse wegen Spendenquittung nicht vergessen)