Ghana Oktober 2020
Der Versuch, vom Cosmos- Center zu erzählen, ohne da gewesen zu sein
Eigentlich säße ich jetzt, wie all die Jahre zuvor, in Ghana irgendwo im Schatten, und würde meine Wochen im Center Revue passieren lassen und dabei versuchen, Mitteilenswertes für Euch aufzuschreiben.
Coronabedingt (oh, wie ich dieses Wort gar nicht mag!) bin ich hier geblieben, hatte aber immer viel Kontakt – den modernen Medien sei es gedankt – mit Ayala und Owusu. Viele Nachrichten, Filmchen usw., aber auch etliche Gespräche sind durch die Luft geflitzt, hin und her zwischen Europa und Ghana.
So ist das, was ich hier für Euch aufschreibe, nicht mit eigenen Augen gesehen und nicht mit eigenen Ohren gehört worden. Und dennoch hoffe ich, ein kleines Bild vom Leben dort in diesem fast schon vergangenen Jahr zeichnen zu können.
So erfuhr ich gleich zu Beginn des Jahres, dass ein neues Kind ins Center aufgenommen wurde. Ein Mädchen, und es sind jetzt 18 Kinder und Jugendliche, die bei uns leben.
In meinem vorigen Brief erwähnte ich unseren Wunsch, am liebsten ganz in der Nähe ein Grundstück evtl. mit Haus kaufen zu können, damit zum einen mehr Kinder aufgenommen werden können und zum anderen eine Werkstatt für unsere Großen gebaut werden kann.
Die Nähe, die uns vorschwebte, hat nicht geklappt, der Besitzer wollte uns, die wir mit behinderten Kindern arbeiten, nichts verkaufen…
Aber Owusu, unser Manager, ist hartnäckig geblieben, hat gesucht, mit den Chiefs verhandelt und ist fündig geworden: Wir konnten im Juli zwei nebeneinander liegende Grundstücke kaufen, sie sind etwas vom Center entfernt, zu Fuß allerdings kaum zu erreichen. Dort könnte eine Werkstatt errichtet werden für die Großen, vielleicht auch ein Wohnhaus, aber hier werden noch viele Gespräche, auch mit Cosmos und Susanne in Schweden zu führen sein.
Die Ideen, Visionen von Ayala und Owusu, aber natürlich auch von unseren Mmas werden das Allerwichtigste sein, sie leben vor Ort, sie können am besten sagen, in welche Richtung die nächsten Schritte zu tun sind.
Immer wieder habe ich mich erkundigt, ob und wie Corona in Ghana angekommen ist. Ayala schilderte mir ein eher zögerliches Auftreten von diesem Virus, in den Städten stärker, auf dem Land kaum. Accra, die Hauptstadt, muss wohl betroffen sein, zumindest eine Zeitlang hat man versucht, Accra abzuschotten, ich kann mir kaum vorstellen wie das geklappt haben soll…
Irgendwann erzählte mir Ayala, dass nun auch in Dormaa einige Menschen an Corona erkrankt seien, bis jetzt sind alle im Center gesund.
Zum einen wird in Ghana natürlich nicht soviel getestet wie bei uns, zum anderen verfügen die Menschen dort über ganz andere Lebenskräfte als wir. Wenn ich an unsere Kinder im Center denke, so habe ich schon immer ihre Lebensfreude bewundert. Sie haben zum Teil Schlimmstes in ihrer frühen Kindheit erlebt und sind dennoch in der Lage, eine „lachende Dankbarkeit“ auszustrahlen…
Dadurch dass die Waren nicht mehr frei zwischen den großen Städten und dem Land hin und her transportiert werden können, sind wohl die Preise sehr gestiegen. Das alltägliche Leben im Center ist leider viel teurer geworden …
Kurz nachdem ich 2019 aus Dormaa heimgekehrt war, weihte mich Ayala in ein frohes Geheimnis ein: seine Frau Rita war schwanger!
Und ich kann mir gut seine große ( ach: überbordende) Freude aber auch seinen verantwortungsbewussten Ernst vorstellen, als dann im August ein kleiner Sohn zur Welt kam. Seitdem erreichen mich immer wieder Bildchen von Yaw Arnold, einem wunderschönen runden Baby.
Im Sommer erreichte mich dann die Anfrage der Freien Waldorfschule in Überlingen, ob wir unser Cosmos-Center auch in diesem Jahr ihrer Oberstufe vorstellen könnten. Sie hatten uns mit noch anderen Projekten auf ihre diesjährige WOW-Day-Liste getan, und wie jedes Jahr planten die Schüler*innen, an einem oder sogar an mehreren Tagen während der Schulzeit einen Job anzunehmen und das erworbene Geld dann Projekten in sog. Entwicklungsländern (kann man diesen Begriff überhaupt noch gebrauchen? Ich tu mich schwer damit, denn wer soll sich wohin entwickeln?) zu spenden.
Vor zwei Jahren bin ich nach Überlingen gefahren und habe den Schüler*innen von uns erzählt, Bilder gezeigt usw.
Coronabedingt (da ist es wieder…) sollte jetzt alles digital gemacht werden. Oh je, das ist nun mal gar nicht mein Genre… Mit Enkelhilfe habe ich es dann geschafft, ein kleines Filmchen in unserer Küche aufzunehmen, in dem ich versucht habe, unser Center zu beschreiben. Ayala hat auch noch ein paar Filmchen von den Kindern geschickt. Und das alles ist dann binnen Sekunden sicher in einem Überlinger Smartphone gelandet… Ich hoffe, die Überlinger können etwas damit anfangen.
Schon bei meinem letzten Aufenthalt in Dormaa vor einem Jahr war uns allen klar, dass wir unbedingt Handwerker finden müssen, die bereit sind, mit unseren großen Jungs zu arbeiten. Wir dachten natürlich an ein ghanaisches Handwerk wie Weben an einem großen Webstuhl, Holzwerken, Batik, Perlenketten aufziehen usw.
Ayala und Owusu, die eigentlich viele Menschen in Dormaa und Umgebung kennen, berichteten immer wieder , wie schwierig es sei, jemanden zu finden. Immer noch scheuen viele Ghanaer die Nähe von Menschen mit einer Behinderung. Immer noch lastet ein Fluch auf diesen Menschen, immer noch gelten sie verhext, immer noch wird schwangeren Frauen dringend abgeraten, ein behindertes Kind zu berühren, denn sonst könne es passieren, dass ihr eigenes Kind mit einer Behinderung zur Welt komme.
Ja, diese Stimmen gibt es immer noch in Ghana, sie begegnen mir immer wieder , wenn ich dort bin. Aber es gibt auch andere, und mein Eindruck ist, sie werden mehr!
So hat mir vor wenigen Tagen Owusu froh und stolz berichtet, dass er eine Frau, die Perlen zu Schmuck verarbeitet, für unser Center hat gewinnen können. Sie wolle gerne mit unseren Großen arbeiten! Während ich diesen Brief schreibe, werden wohl letzte Gespräche geführt bzgl. Lohn und Arbeitszeit.
Solche Nachrichten sagen mir: es geht weiter! Und Freude kommt auf…
Und Freude und Dankbarkeit kommen auch auf, wenn ich an die Menschen denke, die das Leben der 18 Kinder mit ihren Betreuern in Ghana ermöglichen. Denn weiterhin ist es so, dass das Center ganz und gar auf Spenden angewiesen ist. Und da ist natürlich zwischendurch auch mal die etwas bange Frage: Schaffen wir das? Können wir noch mehr Kinder aufnehmen? Wieviel Schritte wagen wir in die Zukunft?
Und das Schöne ist, es gab auch im vergangenen Jahr etliche Menschen, die uns gern geholfen und gespendet haben:
So danken wir ganz herzlich den Freunden der Erziehungskunst, und hier insbesondere Nana Goebel, die immer ein offenes Ohr für uns hat und unkompliziert und gerne hilft!
Auch in diesem Jahr hat uns Kiwanis aus Eupen mit einer großzügigen Spende geholfen! Danke!
Ein besonderer Dank den Schüler*innen der Überlinger Waldorfschule, die von ihrem erarbeiteten WOW-Day-Geld uns gespendet haben!
Und Danke sage ich auch von Herzen meinen Freunden und KollegInnen, die mein Herzensprojekt so treu unterstützen! Und meine liebe Familie, euch sei auch gedankt!Und dann gibt es einige Menschen, die ich persönlich gar nicht kenne: euch auch ein herzliches Medase!
Patrice Reinhardt
Bei den „Freunden der Erziehungskunst“ haben wir ein eigenes Konto, sie stellen auch eine Spendenquittung aus.
Freunde der Erziehungskunst
IBAN: DE 47 4306 0967 0013 0420 10
Betreff: Projekt Nr. 6092 (Cosmos-Center)
(Adresse wegen Spendenquittung nicht vergessen)