Skip to main content

Ghana Oktober 2018

Amedzofe (Ghana), November 2018

Der Blick von der Terrasse des kleinen guest-houses ist wunderschön, und je länger (vor allem: je öfter und immer wieder!) ich schaue auf die bewaldete Hügelkette, daneben auf die weite Ebene bis hin zum Volta-See und rechts von mir auf den Mont Gemi – umso vertrauter und umso schöner wird mir diese Landschaft.

Amedzofe ist ein kleines Bergdorf an der Grenze zu Togo, und ich verbringe hier drei stille letzte Tage vor meinem Rückflug und versuche, ein wenig von dem zu berichten, was in den vergangenen Wochen im Cosmos-Center in Dormaa Ahencrom geschehen ist.

Vorneweg: Es war eine einfache, unspektakuläre Zeit dort, diesmal ohne Diebstahl von Spendengeldern ( wie vor zwei Jahren), der mit Hilfe von Medizinmännern gelöst werden sollte ( und auch wurde), keine traditionelle ghanaische Hochzeit, keine Malaria – eigentlich nur Arbeit im Sozialen, Leben mit den Kindern und ein gutes Gespräch mit Owusu.

Ankunft

Nach 10-stündiger staubiger Fahrt im Bus endlich die vertrauten Lichter und Straßenzüge von Dormaa. Ayala, Lehrer und Hausvater im Center, nahm mir gleich die schweren Koffer ab, sie waren bis in die letzte Ritze hin gefüllt mit Pampers, Baumwollknäueln, Webrahmen, Wundsalben… Meine persönlichen Dinge trug ich in einem kleinen Rucksack, denn im Center ist schon seit Jahren ein Koffer deponiert mit meinen Afrika-Sachen.

Kinder 

Die Begrüßung der Kinder und Mmas war wie immer warm und herzlich und zauberte innerhalb von wenigen Minuten die Strapazen der langen Reise weg. Mir fiel sofort auf, wie groß sie geworden sind, es leben mittlerweile fünf Jugendliche im Center und sieben jüngere Kinder. Maswua und Kwaku wurden vor wenigen Monaten neu aufgenommen.

Ich wusste aber auch, dass im vergangenen Jahr  zwei andere Kinder noch aufgenommen wurden, die jedoch beide verstorben sind. Beide wurden von ihren Müttern für ein paar Tage nachhause geholt, eines von ihnen wurde dort krank und ist im Krankenhaus gestorben . Das andere Kind ist auf eine uns unbekannte Weise ebenfalls gestorben, als es bei seiner Mutter war, die soeben frisch entbunden hatte…

Fast täglich kamen Eltern zu uns mit der Bitte, ihr behindertes Kind aufzunehmen. Owusu, unser sog. Manager (in Ghana braucht jede noch so kleine Organisation einen Manager, einen Direktor und einen Sekretär…), im Hauptberuf Leiter des Social Welfare in Dormaa, war bei den Gesprächen mit den Eltern meist dabei. Seine warmes, einfühlsames Wesen und seine feine und dabei sehr offene Art Fragen zu stellen , ermöglichte den Eltern, ehrlich zu erzählen von dem kleinen bisherigen Leben ihres Kindes, von dem Druck in der Familie und in der Nachbarschaft, es durch einen Medizinmann doch besser töten zu lassen, von den Versuchen, es durch Voodoo-Zauberei zu beseitigen, von dem Wunsch der Mutter, eine Ausbildung zu beginnen, und keiner sei bereit, sich um das Kind zu kümmern…

Die Häuser

Gleich bei meiner Ankunft fiel mir auf, wie viel sich baulich im vergangenen Jahr verändert hat. Das orangene Haus, dessen Fertigstellung vor einem Jahr mit Hilfe der „Freunde der Erziehungskunst“ in Angriff genommen werden konnte, beherbergt mittlerweile neun unserer Kinder und bietet zudem einen Raum für unsere drei Mmas, die weiterhin jeden Tag Berge von Wäsche mit der Hand waschen, alle Räume säubern sowie drei warme Mahlzeiten für alle kochen.

Gewünscht und geplant war vor meiner Abfahrt im vergangenen Jahr, dass im Altbau das Dach erneuert und gehoben wird, auch sollte die gesamte Elektrizität erneuert werden.

Und auch bei diesem Projekt haben uns wieder die „Freunde der Erziehungskunst“ in ihrer herzlichen, klaren und unkomplizierten Art geholfen, die Schätzungen für die Renovierung beliefen sich auf 3.700 €, und dieses Geld haben sie uns auch gespendet.

Was keiner von und wusste, oder klug voraus gesehen hat: die Wände waren teilweise morsch, alle Fenster und Türen mussten erneuert werden, in der Schätzung waren die neuen Böden vergessen worden, das Streichen der neuen Wände auch usw.

Kurzum, die Kosten für Renovierung (incl. Fertigstellung eines neuen Schulraumes) liegen vermutlich bei ca. 10.000€, die genaue Summe werden wir erst in wenigen Wochen wissen, wenn wirklich alles getan ist.

Ja, ohne die Hilfe von Spenden aus der Familie, von Freunden, Kollegen, einer Klasse der Waldorfschule Aachen wäre es nicht möglich gewesen, diese Mehrkosten aufzubringen!

Die Grundschule Vaalserquartier hat den Erlös ihres diesjährigen Sponsorenlaufes unserem Center zugute kommen lassen, es waren mehr als 3.200 €, die ich im Sommer in Empfang nehmen durfte!

Auch wurden wir zum ersten Mal vom WOW-DAY (Waldorf One World) unterstützt. Drei Schulen haben im vergangenen Jahr ihr Geld vom WOW-day unserem Center gespendet: die Rudolf Steiner Schule München-Gröbenzell, die Christopherus – Schule Bochum – Gerthe sowie die 7.Klasse der Rudolf Steiner Schule Berlin – Havelhöhe.

Ich kann an dieser Stelle einfach nur Allen ganz herzlich danken!

Im September diesen Jahres hat mich die Waldorfschule Überlingen zu einer Info-Veranstaltung eingeladen. Gemeinsam mit drei anderen Initiativen haben wir unsere jeweiligen Projekte vorgestellt, und die jeweiligen Klassen können sich aussuchen, welcher Initiative sie in diesem Jahr ihre erarbeiteten Gelder vom WOW-day spenden möchten.

Bin gespannt.. Ich war sehr beeindruckt von der freien und irgendwie auch sehr souveränen Art, wie die Oberstufenschüler alleine diesen Info-Tag gestaltet haben.

Der Hof zwischen den drei Häusern war noch im vergangenen Jahr eine einzige Schotterfläche, über die unseren Großen nur mit Hilfe von Knieschonern mühsam von einem Haus zum andern krabbeln konnten. Mittlerweile ist dieser Innenhof fein und glatt „zementiert“. Klaus Wenzel und seine Familie, die bereits in Kumasi (Ghana) eine Einrichtung mit erwachsenen Menschen mit Behinderung betreuen, haben im März unser Center besucht, die mühsam krabbelnden Kinder gesehen, gleich gehandelt  und die zementierte Hoffläche gespendet.

Allen, allen danken wir sehr, wir konnten wachsen, mehr Kinder aufnehmen und den Altbau renovieren. Das was wir uns im vergangenen Jahr vor meiner Abreise so gewünscht haben, ist eingetreten!

Unsere kleine Schule 

Seit Mai hat keine Schule stattgefunden, weil es einfach keinen Raum dafür gab (der alte Schulraum lag mehr oder weniger in Schutt und Renovierung).

Wenige Tage bevor ich ankam, war nun ein großer luftiger Schulraum gerade fertig geworden, und wir haben uns in einer gemeinsamer Aktion daran gemacht, die unter einer großen Plane verdeckten Möbel, Rollstühle, kleinen Tafeln … hervorzukramen und zunächst zu säubern. Die Kinder haben unser Tun mit wachen Augen verfolgt, und als der Raum fertig eingerichtet war, haben sie ihn mit lautem Jubel begrüßt. Ihre Freude am ersten richtigen Schultag ist schwer zu beschreiben…

Die Größeren sitzen auf Stühlen bzw. Rollstühlen um einen großen Tisch und begeistern sich immer noch für die vielen Finger- und Klatschspiele, ghanaischen Lieder und Geschichten, die Ayala nach langer Zeit wieder hervorzauberte. Lediglich Bright und Sam ( beide 16 Jahre alt) schauten manchmal etwas distanziert zu und kamen erst richtig in Schwung, als es ans Rechnen und Formenzeichnen ging.

Und wiederum machte ich die Erfahrung, dass ich als mittlerweile doch „alter Hase“ die leichte und gleichzeitig tiefe Freude, mit der Ayala unterrichtet, einfach nicht hinkriege.

Der neue Raum ist groß genug, dass gleichzeitig für die Kleinen ein „kinder-garden“ eingerichtet werden konnte. Die Zwei- bis Fünfjährigen liegen auf einer Matte und spielen.

Es lagen wieder etliche gewebte Deckchen zur Weiterverarbeitung bereit. Einige waren in ihrer Form- und Farbgebung so gewagt und besonders, dass ich sie mir einzeln schwer vorstellen konnte als Gebrauchsgegenstand oder Schmuck, aber aufgenäht auf ein ghanaisches Tuch ergeben sie einen wunderschönen großen Wandteppich.

Aus den kräftigeren, aus Lumpen gewebten Teilen habe ich etliche Fußmatten für die neuen Räume genäht.

Die neuen Baumwollknäuel, die mir vor allem Eltern und Kollegen der Parzival-Schule mitgegeben haben, sind von Bright mit Freude und leuchtenden Augen begutachtet worden und bereits in Arbeit.

Der Nachmittag

Nach der Schule gibt es Mittagessen. Von den zwölf Kindern können fünf alleine essen, die anderen müssen gefüttert werden, was vor allem bei Maxwell und Kobi sehr viel Zeit und Geduld verlangt.

Ich habe Sam, unseren nicht sprechenden Philosophen, bewundert, der nachdem er selber umständlich und auch kunstvoll gegessen hat, zum Löffel greift und eines der jüngeren Kinder füttert.

Die Kinder hier leben so selbstständig und autonom wie möglich – hier kann ich nur lernen, immer wieder, nicht einzugreifen und zu „helfen“.

Der Nachmittag verläuft eher ereignislos. Geplant war eigentlich Physiotherapie ( wir haben immer noch keinen gefunden, der ins Center kommt…), auch ein Holzwerker wollte zweimal wöchentlich kommen, but he has been travelling, wie so oft in Ghana…

Was mich gleich zu Beginn doch etwas verärgert hat, war die Tatsache, dass die Kinder den ganzen Nachmittag über da saßen, ohne Spielzeug, ohne Ansprache. Wo waren die ganzen Hölzer, Tiere, Autos…, mit denen die Kinder so ausdauernd und phantasievoll immer gespielt haben?

Und warum lag Maxwell, unser Jüngster, dessen Handgelenk nicht dicker ist als mein Daumen, immer nur in der Wippe? Hatte ich nicht im vergangenen Jahr deutlich gesagt, dass gerade er Ansprache, Wärme und Getragensein braucht?

Meine ganze Enttäuschung und Traurigkeit lud ich bei Owusu, unserem Manager, ab. Er besucht täglich das Center und ist ein richtiger Freund geworden. Ich sagte ihm, dass die drei Mmas zwar wirklich gut die Kinder mit Waschen, Kochen und Säubern versorgen, aber darüber hinaus kaum Interesse an ihrer Entwicklung zeigen. Und dabei seien doch gerade die Afrikaner in meinen Augen so begabt in Herzenswärme und Beziehungskunst und nähmen Verwaiste und Verlorene so selbstverständlich auf in ihre „extended family“.

Und hier entstand eines der ehrlichsten und schönsten Gespräche, die ich je gehabt habe. Wir sprachen von dem Blut, das verbindet ( auch in Afrika noch sehr stark!), von dem, was unter dem Kreuz zwischen Maria und Johannes geschehen ist, von dem Wort- und Palaver-Christentum auch in Afrika…

Am Ende versicherte mir Owusu, er werde mit den Mmas reden, was er auch eindringlich getan hat, und zusätzlich werde er jeden Nachmittag kommen und eine Zeit bei den Kindern sein. Ich bin sicher, er wird es tun.

Hospital in Dormaa

Zu dem Hospital in Dormaa haben wir gute Beziehungen, besonders zu der Kinderärztin Aboma. Regelmäßig besuchen sie das Center, bringen Pampers, Klopapier und Seife mit und schauen nach den Kindern.

Aboma hat mich in diesem Jahr gebeten, an einem Tag ins hospital zu kommen und den Eltern,  die ein Kind mit einer Behinderung haben, zu erzählen, wie man mit ihnen „umgehen“ soll.

Wenn Afrikaner mit dem, was man ihnen erzählt, nichts anfangen können, schweigen sie höflich. Können sie sich für etwas Gesagtes begeistern, klatschen und rufen sie laut. Ich war doch sehr überrascht, dass gerade an den Stellen, wo ich stotternd (mein Englisch!) versuchte, von der heilen Instanz eines jeden Menschen zu sprechen, von dem eigentlichen Initiator in uns, der auch bei ihrem behinderten Kind da ist, dass gerade da heftig geklatscht wurde…

Buchführung

Seit einigen Jahren führt Ayala Buch über die Einnahmen und Ausgaben des Center. Jedes Mal, wenn ich da bin, gehen wir Seite für Seite gemeinsam durch, prüfen Belege usw. Meist hat er mir im Laufe des Jahres schon Einiges geschickt, was ich dann zuhause nachgesehen habe.

Es ist jedes Mal so, dass mich Ayala mitnimmt auf eine Reise durch afrikanische Erzählungen und Begebenheiten, denn hinter jeder Zahl steckt ja eine Geschichte.

Diesmal war die Reise besonders spannend, da er aus Gründen, die ich nur langsam verstehen konnte, mehrere Bücher angelegt hat. Die Verbindung zwischen den einzelnen Büchern ist natürlich immer nur durch eine eigentlich auch wichtige Geschichte verständlich.

Ich glaube, dass ich seine Art der Buchführung nach etlichen Tagen und Nachfragen verstanden habe und dass sie auch nach unseren westlichen Maßstäben sehr korrekt ist ! Sie runter zu brechen in eine Excel – Tabelle ( für die „Freunde der Erziehungskunst“) wird mein Werk zu Beginn des neuen Jahres sein.

Wie es weiter geht

Freunde und Kollegen haben mir kurz vor der Reise Geld fürs Center in die Hand gedrückt.

Owusu, Ayala und ich haben uns hingesetzt und versucht, eine Art Finanzplan zu erstellen. Es wurde rasch klar, dass alle bisherigen Spenden in den Bau geflossen sind, keine Rücklagen da sind, und wir das „in die Hand gegebene Geld“ für die Monate November und Dezember brauchen werden, für die ganz normalen Kosten (Löhne, Markt, Pampers, Elektrizität…).

Für die Zeit danach leben wir in der Hoffnung, dass irgendwie wieder Geld da ist. Wir werden im neuen Jahr kein neues Geld mehr für irgendein Gebäude brauchen, wir werden unsere ganze Kraft auf das „Innenleben“ des Center richten, auf die Kinder, die Schule, die Beziehungen… Wir werden sicherlich ein paar Kinder noch aufnehmen können, der Raum dafür ist geschaffen, wir müssen nur sehen, dass wir das dazu nötige Geld auftreiben…

Die monatlichen Kosten betragen mittlerweile 700€, und wiederum waren wir uns eigentlich alle einig: wir schaffen das, auch im kommenden Jahr werden wir das irgendwie hinkriegen!

So, ich hoffe, Ihr hattet ein wenig Freude beim Lesen dieses Berichtes (sorry, er ist wirklich sehr lang geworden…). Und wenn Ihr dieses kleine Projekt unterstützen möchtet, so freuen wir uns sehr. Das Geld kommt zu 100% den Kindern zugute. Jeder noch so kleine Beitrag hilft.

Patrice Reinhardt

Bei den „Freunden der Erziehungskunst“ haben wir ein eigenes Konto, sie stellen auch eine Spendenquittung aus.

Freunde der Erziehungskunst
IBAN: DE 47 4306 0967 0013 0420 10
Betreff: Projekt Nr. 6092 (Cosmos-Center)

(Adresse wegen Spendenquittung nicht vergessen)